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Eindämmung der Qualmzone
(30. Juli 06)

Mit der Ausweitung der rauchfreien Zone kommen riesige überdachte Aschenbecher mit integrierter Belüftungsanlage auf uns zu - praktisch, gemütlich, fresh. Der Büro-Raucher stellt sich drunter und hat gut lächeln. Über ihm summt der Dunstabzug. Seine Kollegen lümmeln drumrum und parlieren womöglich sogar mit ihm. Erste Anwender schwärmen: „Die ‘Bushaltestelle’ wurde sofort gut angenommen. Zusätzlich zum Raumklima hat sich ebenso das soziale Verhalten der Raucher und Nichtraucher untereinander deutlich verbessert." Na endlich! Schluss mit den Messerstechereien zwischen Tabaksgegnern und -befürwortern! Ein Ende dem Aschenbecher-Bewurf! Allerdings: Wird so nicht das Rauchen verharmlost? Wo bleibt die Abschreckung, wo die soziale Ächtung? Das Gesundheitsministerium sollte dringend Warnhinweise auf die Rauchstationen pappen lassen: „Wer hier einsteigt, lasse jede Hoffnung fahren" - „Rauchen ist Intoleranz". Wichtig wäre es auch, bei den Raucherorganisationen (Gibt es die überhaupt? Nein? Verdächtig!) Selbstverpflichtungen zu erwirken: Jeder Raucher müsste künftig einen dieser modischen Buttons tragen: „Bitte Abstand halten" - „Mein Atem enthält Teer" - „Wer raucht, schlägt unter Umständen auch kleine Kinder". Dann werden weitere Gefahrengruppen eingedämmt: Ferngucker beginnen jedes Gespräch mit einem obligatorischen: „In meinem Hirn sieht es aus wie in RTL2". Und Brillenträger tragen ständig aktualisierte T-Shirts: „Ich war seit ... Monaten nicht mehr beim Augenarzt". Damit wir uns endlich wieder sicher fühlen! Zeitungen, übrigens, erscheinen bald mit roter Banderole: „Achtung: Steht viel Quatsch drin."
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Ich bin eine Zielgruppe
(19. Juli 06)

Arbeitsminister Münte hat gestern was Tolles verkündet, die Initiative „50plus": Wer mit über 50 Jahren irgendwo noch einen mies bezahlten Job findet, dem versüßt das der Münte mit einem Zuschuss. Und auch der neue Arbeitgeber kriegt was überwiesen. Zigtausend neue Arbeitsplätze entstünden dadurch. Irgendwie. Findet Münte. Dieses Erfolgsmodell soll jetzt aber keinen auf die Idee bringen, dass es bald Kombilöhne für alle geben könnte. Nee, Nee. Münte: „Mein Konzept macht ganz deutlich, dass es mir darum geht, die Förderung auf klar definierte Zielgruppen zu konzentrieren." Jau! Und deshalb werden in nächster Zeit allerlei klar definierte Zielgruppen beim Arbeitsminister vorsprechen, werden ihre mordsberechtigten Anliegen in gutes, frisches Behördendeutsch überführen lassen: „minus25" fördert die Gruppe der unter 25-Jährigen, „XXüqM-bu" steht für die Anliegen überqualifizierter, doch berufsunerfahrener Mütter ein. „All diese kristallklar definierten Zielgruppen bedürfen einer wohlwollenden Förderung.", heißt es aus dem Münteministerium. Spontan gegründet hat sich die Interessensgemeinschaft „30SemesterPlus ", ein Sammelbecken für erwerbslose Langzeitphilologen. Einzelne Arbeitslose machen auch schon auf die besonderen Probleme extrem kleiner Zielgruppen aufmerksam, die oft nur aus ihnen selbst und zwei Kumpels bestehen, - die so genannten „1+2-Teams". Arbeitsminister Münte zeigt sich erfreut über die intensive neue Chancengleichheitsbeschaffungstätigkeit, wie verlautet, wird er das alles im Herbst wohlwollend aufnehmen, nachdenklich nicken, und den Rest dann mal lieber den Kräften des Marktes überlassen.
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Gewissen für Anfänger
(3. August 06)

Bei einem Politiker soll die Politik im Mittelpunkt stehen, nicht etwa der Nebenjob. Sagt das Abgeordnetengesetz. Und schließlich heißt es ja auch „Politiker", nicht „Nebenjobber". Nur: Woran erkennt man den eigenen Mittelpunkt? Zeitaufwand, Höhe der Einkünfte? Quatsch, meldet ein Rechtsprofessor im Auftrag von Bundestagspräsident Lammert. Klarheit schaffen könne allein der einzelne Abgeordnete durch eine Gewissensprüfung, welche „lediglich internen Maßstäben gerecht werden muss." Aha! Was aber sind interne Maßstäbe? Schweren Hauptes schaut da manch ein Abgeordneter in sich rein und findet nichts. Daher hier ein paar Vorschläge zur komfortablen Mittelpunktbestimmung: A) Gewissensprüfung nach internem Wohlfühlmaßstab: Wo nicke ich immer am schönsten ein, wo döse ich am allerliebsten? Genau da könnte mein Mittelpunkt sein. B) Prüfung nach dem Identitätsmaßstab: Wo nimmt man mich so, wie ich bin, wo darf ich ungestört meine Fußballbildchen tauschen? So ein Ort will mir sagen: Hier ist dein Mittelpunkt. C) Die Schreiprüfung: Wo ertönt meine Stimme am lautesten, wo kriege ich selbst fürs Rumbrüllen noch Applaus? Da muss er sein, mein Mittelpunkt. Ja. Natürlich bleiben solche Prüfungen nicht aufs Parlament beschränkt. Jeder Arbeitnehmer kann sie vornehmen. Er sage: Wie eine Gewissensprüfung jetzt bei mir ergeben hat, gehören Arbeitsdauer oder -erfolg nicht zu meinen internen Maßstäben, nach denen mein Gehalt bemessen werden kann. Dieses richtet sich eher nach dem Grad des Enthusiasmus, welchen ich unserem Unternehmen entgegenbringe. Und der ist gigantisch. Ich könnte ohne das Unternehmen gar nicht mehr leben.
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Sein, Zeit und SMS
(31. Juli 06)

Was würden wir tun, wenn wir noch 43 Sekunden zu leben hätten? Klar doch: eine SMS schreiben. Das geht immer. Da muss man kein Tuten in der Leitung abwarten, da muss man nicht nach dem Taschentuch nesteln. Man greift zum Handy. Tippselt. 43 Sekunden. Da geht alles rein. Das hat jetzt kürzlich eine Schnelltippsel-WM ermittelt. In 43 Sekunden lassen sich 160 Zeichen eingeben, welche in deutscher Übersetzung lauten: „Die Piranhas der Gattungen Serrasalmus und Pygocentrus mit rasierklingenscharfen Zähnen sind die grausamsten Frischwasserfische der Welt. In Wirklichkeit greifen sie selten Menschen an." Nun will natürlich niemand mit so was in Erinnerung bleiben. Von letzten Worten wird gemeinhin mehr Fazit, Trost und Ausblick erwartet: „wenn du bei mir reinkommst, setz dich lieber erst mal und iss was. mein leberwurstbrot müsste noch neben mir auf dem tisch stehen." - „oha, ich sehe ein helles licht. weiße engelein tanzen umher. der doktor zupft grad das kreuzband aus dem knie." Es gäbe noch so viel zu sagen! Das ist ja die General-Lebensweisheit Nummer eins. Nummer zwei ist: Nur hören will es keiner. Das Wurstbrot bleibt liegen, niemand verstand je, warum wir das aßen - ach, und mit den Fingern geknackt hat er auch immer! Wir schlagen die Augen auf, irgendwas tut uns weh, das Knie ist dick in Gips. Unser Handy liegt außerhalb jeder Reichweite im Krankenhausspind. Wenn wir es hätten, könnten wir jemanden ansimsen, der es uns holen könnte. Denken wir. Und halten Einkehr und Rückschau: Was eigentlich haben wir geleistet? 1600 Zeichen in nur 43 Sekunden - immerhin! Die schnellste Glosse der Welt.
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100.000-PS-Beratung
(Steuerberater Magazin, Mai 2006)

Hui! Schon wieder ein Schreckschuss von der Gesetzgebungsfront? Wo doch das Mandantenrundschreiben gerade fertig ist? Macht nix. Schließlich gibt’s ja das gute alte Postskriptum. Einfach anfügen: "PPPS: Während unser Sekretariat die 15 Seiten des vorliegenden Mandantenschreibens erfasste, konnten wir die Bundesregierung leider nicht am Arbeiten hindern. Aus diesem Grund ist Absatz 2 Buchstabe b Nr. 4 auf Seite 7 nun wieder hinfällig. Das dort aufgeführte BSG-Urteil wird nicht über den entschiedenen Einzelfall angewandt. Betroffene müssen also vermutlich doch keine 20.000 bis 60.000 Euro nachzahlen. Zumindest vorläufig." Gut soweit. Jetzt kann natürlich noch das Telefon dazwischenbimmeln. Postskriptum hilft. "PPPPS: Gerade erreicht uns noch eine brandaktuelle Nachricht, derzufolge Arbeitsminister Münte eine Gesetzesänderung plant. Ziel ist, dass alle Betroffenen des mittlerweile gestrichenen Absatzes 2 Buchstabe b Nr. 4 auf Seite 7 unseres Mandantenrundschreibens auch in Zukunft ganz bestimmt keine 20.000 bis 60.000 Euro nachzahlen müssen, sondern diese sofort und rückwirkend in den Aufschwung investieren." So, weg damit! Halt! Noch was! "PPPPPS: Unser Sekretariat findet, dass Münte in letzter Zeit ziemlich angeschlagen aussieht. Behalten Sie Ihre 20.000 bis 60.000 Euro erst mal!" Jetzt aber! Zukleben und ab zur Post. Am besten selber gehen. Handy nicht vergessen. Damit neueste Entwicklungen anpiepsen können. Bei Bedarf kann so noch auf die Umschläge gekritzelt werden: "Ruhig Blut: Wahrscheinlich sind Sie am Ende gar nicht betroffen." Clevere Kollegen führen deshalb schon Stempel mit: "Vorsicht - Veraltete Information!" Und auf dem Rückweg zur Kanzlei kann gleich das neue Rundschreiben verfasst werden. Schließlich gilt es ja, der Informationspflicht voll umfänglich nachzukommen.
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