Staffellauf der Geistesblitze
oder Literatur auf der Flucht -
Leser hinterher
Computer als Literaten
Poetron
4G
Gedichtgenerator und andere Wörter-Maschinen
von Günter Gehl
Dada Data
Transelektrische Verse, programmiert
von Hartmut Landwehr
Linksammlungen
OLLis Links zur
Literatur
Oliver Gassners kommentierte Linkliste
zu Seiten mit und über Literatur, erhielt 1997 den Silbernen Pegasus
im Internet-Wettbewerb der Zeit
Internet-Literatur-Webring
"bla" von Guido Grigat
Arbeiten von Guido Grigat, Mario
Hergueta, Walter Lipp sowie Seiten über Internet-Literatur wie zum
Beispiel "lias", Literaturserver von Dirk Schröder
Beluga Verlag
Kommentierte Linkliste zu Hyperfiction
des schweizerischen Kleinverlags "Beluga"
Pegasus '98
Webseiten zum diesjährigen
Internet-Wettbewerb der "Zeit" mit Literatur-Surftips und Links zu den
Wettbewerbsbeiträgen von 1997 (darunter auch Guido Grigats "Trauer
der Vollendung", Oliver Gassners "kwadrant c/y" und Walter Lipps Redefluß
"Wortbewegung") sowie Arbeiten von 1996
Futuristischer Lesesalon (existiert nicht
mehr)
Angebot der Stuttgarter Stadtbücherei
im Internet von und mit Reinhard Döhl und Johannes
Auer
MUDs
MUD.DE
Homepage der Interessengemeinschaft
Virtueller Welten mit ausführlich kommentierter Linkliste zu deutschsprachigen
MUDs.
Diskussion
dgds
Literatur auf der Flucht
Ungekürzte Fassung
des Artikels "Staffellauf der Geistesblitze"
Ode an eine Buche
Kaltschnauzer
Oh Kaltschnauzer du
Oh froehliches Glueck!
Buche in stocksteifer Wehmut
lungern und wimmern
schmatzen
Oh Buche
so matt
Und Kaltschnauzer - du, so
stocksteif
Wer sonst kann die Astronauten
erretten?
Poetron 2.3
Zwei Menschen und ein Computer haben
diese
Ode verfaßt. Günter
Gehl hat das Programm
geschrieben und ins Internet gestellt,
ich selbst
habe sechs Worte als Vorschlag
in ein Formular
getippt, Poetron4G, alias Günters
Genialer Gedicht
Generator, hat diese mit Worten
aus seinem Archiv
gemixt und schließlich nach
einem Mausklick
("Bitte dichte für mich, Poetron")
zu besagter
Ode gefügt. Kaltschnauzer,
Oh Kaltschnauzer...
Wen soll ich dafür bewundern,
beglückwünschen
oder beschimpfen? Den Programmierer,
mich selbst,
die Maschine, alle drei zusammen?
Ich klick’ weiter zu Sven Stillich,
Sonderpreisträger
beim ersten Internet-Literaturwettbewerb
der "Zeit",
1996. Er glaubt, so ist im Internet
zu lesen, daß sich
ein neuer Schriftstellertypus entwickle,
einer, der sich
für Programmiersprachen ebenso
interessiere wie für
Literatur. Genau. Der Internet-Schriftsteller
beginnt sein
Werk nicht mehr mit: "Lo-li-ta,
Feuer meiner Lenden..."
(Vladimir Nabokow), nein, er öffnet
nach etlichen
Doppelklicks die Eingeweide seiner
Webseite, den
HTML-Code, und tippt dort beherzt
"top.main.document.open();" Das
ist sein erstes Wort,
das freilich die meisten Leser
nie zu sehen bekommen.
Manche meinen, Webseiten programmieren,
das sei wie
komponieren (mit Programmbefehlen
statt mit Noten),
sie anzuschauen, käme einer
Aufführung gleich.
Wie das? Ich probiere es mit Guido
Grigats
literarischem Essay "Die Trauer
der Vollendung",
ein Beitrag des zweiten Internet-Wettbewerbs.
Der Text wirkt ganz normal, bis
der Scrollbalken
seine Eigensinnigkeit offenbart.
Die Zeilenmarkierung
läßt sich partout nicht
bis nach unten und damit
bis ans Ende des Textes schieben,
ja sie bewegt
sich sogar eigenmächtig wieder
nach oben. Dem
Leser wird ein Endlostext vorgegaukelt.
Man
kommt gar nicht so recht dahinter,
wann genau
der Trick passiert, viel zu perfekt
ist er arrangiert,
da müßte einer schon
in die Eingeweide der Seite,
in die Noten zum Stück oder
- Schluß mit den
Metaphern - in den HTML-Code schauen.
Was ist Internetliteratur und was
soll aus ihr werden?
Seit einem Jahr finden sich dazu
täglich rund 20
Mitteilungen in meinem elektronischen
Postkasten -
von Mitgliedern der Mailingliste
Netzliteratur. Die
Mailingliste funktioniert so: Alle
schreiben an Sven
Stillich, der kopiert und verteilt
die Nachrichten
wiederum an alle Listenmitglieder.
Natürlich geht
das automatisch. Hypertexte, die
Klassiker im Internet,
in denen sich die Leser mit Hilfe
von Links auf
verschiedenen Wege durch die Geschichte
klicken
können, standen in der Mailingliste
noch nie zur Debatte.
Internetliteratur bedürfe
radikalerer Formen:
Kein Produkt soll greifbar sein,
kein einzelner
Autor verfügbar, kein...
Einmal hatte ein Mailinglisten-Mitglied
die Idee,
daß vielleicht schon die
Listendiskussion selbst
Internetliteratur sein könnte.
Gar kein schlechter
Gedanke. Tatsächlich haben
manche Sequenzen,
in denen ein ursprünglicher
Beitrag durch vielfaches
Zitieren und Kommentieren mehr
und mehr und
mit anscheinend immer größerer
Lust zerhackstückt
wird, durchaus etwas kunstvoll
Dramatisches,
wirken wie spontanes Sprachtheater:
Eine kleine,
gut eingespielte Gruppe inszeniert
das Gespräch
im elektronischen Postkasten wie
Schauspieler
ein Stück auf der Bühne.
Eine größere Gruppe
verfolgt das lesend, schweigt meist
(lurkt, wie
Internet-Surfer sagen), staunt
daheim vor dem
Computer, ab und an gibt es einen
Szenenapplaus.
Im Postkasten sieht das dann so
aus: Erst kommt
die Meldung "Sie haben 50 neue
Nachrichten
bekommen", dann erweist sich, daß
49 davon
zum selben Thema sind. Re: Neztliteratur,
Re: Neztliteratur, Re: Neztliteratur...
sind diese
betitelt. Re: steht für "regarding",
ist also der
Betreff. Was diesen betrifft, hat
sich der erste
verschrieben oder einen Witz gemacht.
Im Internet können sich Leser
begegnen
- und zwar mitten im Text, quasi
zwischen
den Buchstaben. Das ist wortwörtlich
gemeint.
Im MUD (Multi-User-Dungeons, ins
sachliche
Deutsch übersetzt heißen
sie Mehr-Personen-
Rollenspiele). Vor kurzem ist mir
dort folgendes
passiert. Ich war im MorgenGrauen,
dem größten
deutschsprachigen MUD, genauer
gesagt war ich
im MorgenGrauen-Land schon bis
zu Franks
Abenteurer-Kneipe vorgedrungen.
Von der
hieß es: "Wie immer ist hier
wieder mal die
Hoelle los. Flaschen und Glaeser
fliegen durch
den Raum. Wenn Du wissen willst,
was Du hier
trinken kannst, tippe ,menue’".
Gerade als ich
beim Buchstaben "u" angelangt war,
tippte sich
unvermittelt ein Mensch namens
Mysterious
mitten in mein Wort hinein. "Hupen
Sie,
wenn Sie bewaffnet sind", forderte
er und
dann las ich: "Mysterious wirft
einen
Atombomben-Bastelbogen nach Westen."
Was sollte ich tun? ,Westen’ tippen,
um den
Bastelbogen zu finden oder Mysterious
zur
Rede stellen? Verschwiegen sei,
was folgte.
Der MUD ist eine intime Sache.
Er liest sich
vielleicht so, wie Bücher
in jungen Jahren
gelesen werden, wenn die eigene
Phantasie
sich noch völlig frei mit
der des Autors
vermischt und mit der Realität
sowieso.
Und: Einen MUD kann keiner untern
Arm
klemmen, Autorenlesungen sind auch
schwer
denkbar. Typisch Internet: kein
abgeschlossenes
Werk, kein benennbarer Literat,
keiner ist Schuld.
Beim Textspiel "TangoTanga" ist das
ähnlich. Urheber und Schiedsrichter
sind
Reinhard Döhl und Johannes
Auer, Vertreter
und Nachfahr der "Stuttgarter Schule",
die in
den 60er Jahren vom konkreten Dichter
Max
Bense initiiert wurde. "hab sonne
im herzen/
und vollmond überm bärensee/mehr
wäre
dazu nicht zu sagen/am horizont
erscheint/
verführerisch der morgenstern/tango
im tanga...",
heißt es im Textspiel. Wem
diese Zeilen nicht
gefallen, kann sie ganz leicht
aus der Welt
schaffen. Sofern ihm etwas neues
einfällt.
Jeder kann jede Zeile ändern,
wenn er nur
zu sagen weiß, warum er das
tut. Vor drei
Monaten hörte sich das damals
frisch von
den Autoren stammende Textspiel
noch ganz
anders an: "laufen auseinander,
treffen sich
wieder/Graublau der Himmel/die
Sonne so rot/
Paris mon amour/mon cul/..."
Ist Internetliteratur nicht bunt,
bewegt und macht
Geräusche? Ja, auch das gibt
es im Netz zu finden.
Manche Internet-Autoren lassen
Buchstaben in
bewegten Wellen hüpfen (der
leise blubbernde
"Redefluß" stammt von Walter
Lipp), Begriffe
verschwimmen buchstäblich
von Cyber zu Hyper
zu... ( in Oliver Gassners "kwadrant
c/y"),
Schimpftiraden gleiten durch dreidimensionalen
Raum, als sei das Hallphänomen
sichtbar geworden
(Mario Hergueta nannte diese Arbeit
"In the Text").
Die visuelle Poesie ist im Internet
jedenfalls vielfach
in Bewegung geraten.
Diskutiert wird im Netz aber über
anderes:
"Seit etwa zwei Jahren entstehen
neue
Virentypen, die in unseren Computern
die
skurrilsten Effekte hervorrufen,
nicht bloß
destruktiv wirken, auch schön,
nicht mehr
auf virale Ergonomie ausgelegt
sind, sondern
auf künstlerischen Gehalt.",
schreibt etwa
Dirk Schröder auf seiner Homepage.
Sind
die Viren dann Kunst, Literatur
oder einfach
Sabotage? Was auch immer, freiwillig
wird sie
wohl keiner auf seinen Computer
laden... Je
mehr die Kategorien (Material,
Werk, Autor,
Leser) verschwinden, um so heftiger
wird im
Netz teils um Definitionen, viel
mehr aber um
das gerungen, was nicht mehr sein
soll. Die "Zeit"
hat den Begriff "Literatur" für
den dritten
Wettbewerb ersatzlos fallen lassen.
Er "ist uns
zu eng geworden", schreibt Roger
de Weck,
Chefredakteur der Zeit, auf den
diesjährigen
Wettbewerbsseiten im Internet.
Als die bildenden
Künste die neuen Medien entdeckten,
erging es
ihnen ähnlich. An die Stelle
mehr oder weniger
verbindlicher Kategorien tritt
inzwischen meist
der philosophische Begleittext.
Nur wenige
beharren auf Begriffen: Jenny Holzer
bezeichnet
sich als Bildhauerin, auch wenn
sie Kästen mit
Laufschriften montiert.
Im Netz wird zu viel diskutiert und
zu wenig
gemacht, schreiben die Diskutanten.
Stimmt,
die Literatur kommt da kaum hinterher,
ist sie
doch oft mühsam herzustellen.
Der Gedanke ist
viel schneller. "Literatur ohne
Sprache", wäre
wohl der radikalste. Dafür
begeisterte sich der
österreichische Medienphilosoph
Peter Weibel
in postmoderner Manier schon in
den 80er Jahren.
Wie aber sollte solche Paradoxie
tatsächlich
literarisch zur Erscheinung kommen.
Und warum?
Gäbe es sie, keiner würde
bemerken, daß das
Literatur ist, woran auch. Vielleicht
gibt es sie schon.
Schauen Sie doch mal ins Internet.
SUSANNE BERKENHEGER
dgds
: und schon gefangen und ab
geht`s in der Dämmerung, der Himmel grau, die Segel geschwellt, Wörterbeute
im Netz.
Mit Dank und Gruß
W.J.