Psychokinese im Internet


      Entspannen Sie sich. Sehen Sie diese Seite scharf an. Und versuchen Sie, das Komma in diesem Satz um ein Wort nach links zu verrücken. O.K.? Lassen Sie den Laserstrahl Ihrer Gedankenkonzentration frei über die Zeilen fuchteln. Ich ziehe mich kurz zurück. Muß meinen Internet-Selbstversuch zur „außergewöhnlichen Mensch-Maschine-Interaktion" fortsetzen. Tolle Sache. Eine Biene, die - just während ich diesen Text schreibe - ziellos, einem Zufallsgenerator ausgeliefert, über meinen Bildschirm krabbelt, lotse ich allein durch Gedankenkonzentration auf eine Blüte, auf eine schöne Blüte, eine wunderschöne, leckere Blüte, komm Biene, die Blüte, lecker ... Ich glaube, daß ich bald signifikant werde, einen paranormalen z-Wert erreiche ... Und wie läuft’s bei Ihnen so? Das Komma. Noch nichts? Das kann passieren. „Lassen Sie nicht nach in Ihrem gedanklichen Bemühen. Negative Werte müssen vorkommen. Sonst gäbe es den Zufall nicht mehr," steht in der Einführung zu meinem Versuch. Bei mir geht es darum, daß ich auf meinen Rechner psychokinetisch einwirke. Sie verstehen, daß da der Text für diese Zeitung momentan hintansteht. Bitte entschuldigen Sie, und üben Sie weiter. Stellen Sie sich vor, das Komma sei ein Teil von Ihnen. Überlegen Sie, wohin das Komma wandern muß, damit sich Ihr Ergebnis verbessert. Blüte, leckere Blüte ... Wenn wir es schaffen, reiten wir „auf der Flanke der Wahrscheinlichkeitsverteilung von Realitäten", und das ist dann sogar ein Gegenstand der Diskussion um Quantenrealitäten, schreibt Eckhard Etzold auf seiner Homepage. Weiter unten dankt er dann Helmut Schmidt, USA, für Beratung, wichtige Korrekturen und Hilfe bei der Entwicklung dieses Programms. Nein! Was ist denn jetzt los? Biene, liebe Biene ... nicht auf die Wabe, auf die Blüte, Blüte, Blüte ... Oje. Der Mittelwert (x) meines 302. Versuchs ist definitiv zu mittel. Signifikanz ade! Den entsprechenden z-Wert (z = (x-50) * 0,07055835507589) brauche ich gar nicht erst auszurechnen. Überhaupt halten die mich wohl für blöd: Vor jedem Versuchsstart, Dauer 60 Sekunden, muß ich die Zielrichtung meiner psychokinetischen Bemühungen anklicken. Blüte oder Wabe. Ich bitte Sie. Da wird doch Schmus getrieben! Deshalb optimiere ich jetzt die Versuchsbedingungen. Ich klicke auf Wabe, konzentriere mich aber heimlich weiterhin auf Blüte. ... Nein, Sie sollten beim Komma bleiben. Weiterüben, aber nicht überanstrengen. „Sonst könnte sich der zu beobachtende ‘Erfolg’ verringern (Decline-Effekt)." Was? Sie wissen, wovon ich rede? Sie waren schon bei Si,e und dann ... frustrierend. Gerade lese ich: „Hier in unserem Versuch steht weniger im Vordergrund, einen handfesten Beweis für Psychokinese zu liefern (ob es den überhaupt geben kann, muß durchaus diskutiert werden!), sondern Beobachtungen zu sammeln, was passiert, wenn Menschen versuchen, allein durch Gedanken eine Maschine (= die Vorgänge auf dem Bildschirm des eigenen PCs) zu beeinflussen." Gerne würde ich Ihnen schildern, was dabei mit mir passierte, aber ich muß jetzt meinen Monitor abschalten. Wegen der Kontrollversuche (1000 Durchläufe ohne meine geistige Einwirkung, Laufzeit: 16 Stunden und 40 Minuten). Sie verstehen? Über einen eingeschalteten Monitor könnte ich das Ergebnis beeinflussen - psychokinetisch. Auch Sie sollten Kontrollversuche machen. Legen Sie die Zeitung weg, denken Sie kurzzeitig an etwas anderes, dann schauen Sie nach, wo das Komma sitzt. 500 Durchläufe dürften genügen. Danach sind Sie bereit für den großen Internettest: http://bs.cyty.com/stjakobi/archiv/games/telemech/

      Susanne Berkenheger

      F.A.Z., 20. November 2002

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